Bundespräsidentenwahl 2016 - MH Prognostics


Kommentar zur Anfechtung der Bundespräsidentenstichwahl 2016

Bundesweite Wahlwiederholung könnte "Demokratieterroristen" Tür und Tor öffnen

Die von der FPÖ eingebrachte Anfechtung der Bundespräsidentstichwahl 2016 beim Verfassungsgerichtshof war und ist in einem demokratischen Rechtsstaat ein legitimes Recht.
Der Verfassungsgerichtshof hat jedoch die vorgebrachten Anfechtungsgründe nicht nur nach den Buchstaben des Gesetzestextes zu entscheiden (wie z.B. eine religiöse Sekte, die darauf beharrt, dass in die Inhalte der Bibel in jedem Fall ausschließlich wortwörtlich verstanden werden müssen), sondern als Hüter der Verfassung - und damit auch oberster Hüter des demokratischen Rechtsstaates - und (in dieser Angelegenheit) höchstes innerstaatliches Gericht in erster Linie den Geist der Verfassung bzw. die primären Absichten des Verfassungsgesetzgebers - und damit wohl auch den Wählerwillen - zu schützen.

Dass bei der Stichwahl vom 22. Mai (und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wohl auch schon beim 1. Wahlgang am 24. April) etliche Formal- und Verfahrensfehler passiert sind, ist mittlerweile offensichtlich. Dass seitens der Anfechtungswerber keine einzige Manipulation bei der Stichwahl auch nur annähernd bewiesen werden konnte, jedoch auch.

Tatsächlich zu Tage getretene Fälle, bei denen der Wählerwillen im Nachhinein nicht eindeutig festgestellt werden konnte bzw. unberechtigt verändert werden konnte, sind - nach meinem Wissensstand - nur in zwei Fällen aufgetreten: In einem einzigen Bezirk stimmten bei der Auszählung die Ergebnisse mit den angeblich abgegebenen Stimmen um exakt 3 (in Worten: drei) Stimmen nicht überein. Und in einem anderen Bezirk hat eine Handvoll unter 16-jähriger gewählt, obwohl sie eigentlich noch gar nicht wahlberechtigt waren. Das ergibt in Summe eine einstellige(!) Anzahl von Wählerstimmen, die tatsächlich eine Aufhebung in den entsprechenden Bezirken rechtfertigen würde.

In den übrigen Bezirken ist die Suppe eher dünn: Denn wo bereits um 8 statt 9 Uhr mit der Auszählung begonnen wurde, kann das auf das Wahlergebnis de facto keinen Einfluss gehabt haben, solange das Vier- bzw. Mehr-Augen-Prinzip gewährleistet war.
Massiv bedenklich wäre es nur dort, wo sich mehrere Rechtsverletzungen überlagert haben: Also beispielsweise Öffnung, Entnahme und Auszählung bereits am Vortag, in irgendeinem Hinterkammerl, von ausschließlich(!) unbefugten Personen unter aktivem(!) Ausschluss der Mitglieder Wahlbehörde.

In solchen Fällen wäre eine Aufhebung nicht nur zulässig, sondern sogar geboten.

Nachdem es jedoch nicht so viele Bezirke geben dürfte, auf die solches zutrifft, dürfte damit - selbst bei "Annullierung" der Briefwahlergebnisse in diesen Bezirken - der Vorsprung des Wahlsiegers vom 22. Mai noch immer ausreichend groß sein, dass über den bundesweiten Wählerwillen kein Zweifel bestehen sollte.

Formalfehler - auch ernsthafte - alleine sollten jedenfalls keinen hinreichenden Grund liefern, den zwar relativ knappen, aber doch ausreichend eindeutigen Wählerwillen ernsthaft in Zweifel zu ziehen, denn die höchste Aufgabe jeder Wahl besteht darin, dass der Wille des Wahlvolkes am Wahltag festgestellt wird. D.h. maßgeblich für das Wahlergebnis ist, was die Bevölkerung am Wahltag zum Ausdruck bringt (und nicht wie sie 3 Wochen davor oder 3 Monate danach denkt).

Denn was würde eine Totalaufhebung bzw. bundesweite Wahlwiederholung bedeuten?

Es wäre nicht nur das Signal, dass die gesamte Wahl "möglicherweise manipuliert" bzw. "ungültig" war, sondern auch das Signal, dass eine unterlegene Partei sich (auch) durch von ihr selbst bewusst begangene oder unterlassene, vorsätzliche oder zumindest billigend in Kauf genommene Rechtsverletzungen selbst einen Hebel in die Hand geben kann, um bei knappen Wahlen das Wahlergebnis annullieren zu lassen und eine Wahlwiederholung zu erzwingen.

Eine solche Taktik nach dem Motto "wenn uns das Ergebnis nicht passt, erzwingen wir einfach eine Neuwahl" wäre jedoch am zutreffendsten als demokratiepolitischer Terrorakt gegen den demokratischen Rechtsstaat oder bestenfalls - in sanfestmöglicher Wortwahl - als parteipolitische Machttaktik der allertiefsten Schublade auf dem Rücken des Wählerwillens zu bezeichnen.

Der Verfassungsgerichtshof sollte daher solchen "Demokratieterroristen" keine Türen öffnen, und sich bei einer allenfalls nötigen Teil-Aufhebung auf die gröbsten Fälle beschränken, bei denen der Wählerwille tatsächlich begründet in Zweifel gezogen werden kann.

Davon abgesehen sollte er in jenen Bezirken, wo es zwar deutliche Formalfehler gab, die aber nicht so gravierend waren, dass es Manipulationen am Ergebnis geben hätte können, eine sofortige Neuauszählung anordnen.
Sollten bei den angeordneten Neuauszählungen in mehreren Fällen substantielle Differenzen zu Tage treten, könnte der VfGH Mitte nächster Woche eine allfällige Teil-Aufhebung der Wahl erforderlichenfalls noch immer ausweiten bzw. die Stichwahl tatsächlich zur Gänze aufheben. Andernfalls wäre eine allfällige Teil-Aufhebung jedoch auf das absolute Minimum zu beschränken (d.h. die Briefwahl wäre - wenn überhaupt - dann nur in einigen wenigen Bezirken zu wiederholen), bzw. das amtliche Wahlergebnis vom 22. Mai endgültig zu bestätigen.

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Kommentar zur Aufhebung der BP-Stichwahl durch den VfGH (Link eingefügt am 01.07.2016)


Kommentar vom: 30.06.2016 | © 2016 by MH Prognostics [universalist@gmx.at | 1230 Wien]