Bundespräsidentenwahl 2016 - MH Prognostics


Kommentar zur Aufhebung der Bundespräsidentenstichwahl 2016


Bundesweite Wahlwiederholung als kleine Chance, aber große Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat


Der Verfassungsgerichtshof hat also tatsächlich die Bundespräsidentenstichwahl vom 22. Mai aufgehoben. Und zwar bundesweit, zur Gänze.

Die Begründung ist zwar über weite Strecken durchaus nachvollziehbar, die angeführten Fehler in der Durchführung der wahlrechtlichen Bestimmungen durchaus nicht ungewichtig. Dennoch birgt die Wahlaufhebung auch eine große Gefahr in sich: Einer überschaubaren Anzahl von "Parteisoldaten" könnte es damit gelingen, den Wählerwillen der Stichwahl vom 22. Mai nicht nur zu untergraben, sondern - im Falle eines konträren Ausgangs der Wiederholungswahl - schlimmstenfalls sogar um 180 Grad "umzudrehen".

Von der FPÖ entsandte Wahlbeisitzer, die auf von ihrer Partei vorbereiteten Formularen behauptete Misstände einfach "ankreuzten", am Wahltag selbst jedoch das Protokoll ohne Einwände unterschrieben hatten (oder vielfach sogar nicht einmal anwesend waren!), könnten somit das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat massiv beschädigen.

Denn wie kommen über 98% der Wählerinnen und Wähler, deren Stimmen zweifelsfrei völlig korrekt "behandelt" wurden, dazu, nun noch einmal wählen zu müssen? Und wie kommen auch jene knapp 2% der Wählerinnen und Wähler dazu, die selbst alles richtig machten, und bei deren Stimmenauszählung ebenfalls keine einzige Manipulation festgestellt werden konnte, dass ihre Stimmen in Zweifel gezogen werden, nur weil offenbar einige Dutzend übereifrige und/oder offenbar unfähige Bedienstete der Behörden, teils sogar selbst ausgebildete Juristen, teils Bezirkshauptleute, offenbar gravierende Formalfehler begingen, diese teils sogar aktiv herausforderten oder zumindest bewusst duldeten?

Wie kommen all jene Menschen dazu, nun noch einmal wählen zu müssen, und schlimmstenfalls mitansehen zu müssen, wie ihr Wählerwille vom 22. Mai nun im September möglicherweise mit Füßen getreten werden könnte?

Wie kommen jene Menschen (und deren Angehörige), die im Mai bereits im Sterben lagen, und ihre Bürgerpflicht ein letztes Mal erfüllten nun dazu, dass ihre Stimmen völlig annulliert werden, ohne dass sie eine Chance auf eine Wiederholung haben?

Wie kommen jene 4.637.046 Menschen, die ihr Wahlrecht am 22. Mai genutzt haben, dazu, akzeptieren zu müssen, wie in ihren am 22. Mai zum Ausdruck gebrachten Wählerwillen im September plötzlich durch die anderen 1.745.461 Menschen, welche am 22. Mai auf ihr Wahlrecht bewusst verzichtet hatten, nachträglich eingegriffen werden kann? Die Nichtwähler vom 22. Mai waren ganz offensichtlich nicht gewillt, an der demokratischen Willensbildung der Stichwahl zum Bundespräsidenten mitzuwirken, denn sonst hätten sie ja von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Auch wenn es legal ist, erscheint es wohl kaum legitim, dass gerade dieser Personenkreis plötzlich eine zweite Chance bekommen sollte.

Der Verfassungsgerichtshof hat - zurecht - zu Recht erkannt, dass in etlichen Bezirken die Wahlordnungen nicht auf Punkt und Beistrich befolgt wurden. Weil der VfGH innerstaatlich die höchste juristische Instanz ist, ist die Gesamtaufhebung der Stichwahl zweifellos legal und zu respektieren.

Dass dabei jedoch das legitime Interesse der Mehrheit des Wahlvolks, den Wählerwillen vom 22. Mai zu respektieren und den Wahlsieger vom 22. Mai am 8. Juli anzugeloben, nun zur Gänze unter die Räder kommen könnte, ist der (potentielle) Kollateralschaden dieser höchstgerichtlichen Entscheidung.


Damit die Gesamtaufhebung der Bundespräsidentenstichwahl auch einen positiven Aspekt hat, sollte sie meiner Ansicht nach zumindest folgende Konsequenzen nach sich ziehen:

kurzfristig:

1) Spürbare Konsequenzen für alle Bezirkshauptleute bzw. Leiter der Bezirkswahlbehörden, deren Bezirke primärer Anlassfall für die Wahlaufhebung waren, und zwar:
a) Dienstrechtlich: von der Versetzung/Degradierung über die Suspendierung bis hin zur Entlassung.
b) Strafrechtlich: Zum Schutz der Integrität der Wahlgrundsätze sind die gröbsten Verstöße auch strafrechtlich zu verfolgen, und erforderlichenfalls neben saftigen Geldstrafen auch mit teilbedingten Haftstrafen zu ahnden.
c) Finanziell: Die Republik Österreich sollte an die Bezirkshauptleute bzw. Leiter der inkriminierten Bezirkswahlbehörden Regressforderungen erheben. Nach den erforderlichen gerichtlichen Verfahren sind - bei entsprechendem Ausgang - die betreffenden Personen für den rechtlich höchstzulässigen Zeitraum auf ihr Existenzminimum zu pfänden.
d) Politisch: Die betreffenden Bezirkshauptleute bzw. Bürgermeister sind aufgrund des bewussten oder bewusst in Kauf genommenen Unterlaufens zentraler Wahlgrundsätze (=Amtsmissbrauch?) umgehend abzusetzen bzw. ihres Amtes zu entheben.

2) Konsequenzen für einfache Mitglieder der Wahlbehörden, Wahlbeisitzer, Wahlzeugen:
a) öffentliche Ermahnungen ohne strafrechtliche Verurteilungen, bei gravierenden Einzelfällen auch strafrechtliche Untersuchung und allenfalls bedingte Strafen bei gröberen Verwaltungsübertretungen.
b) Jene Wahlbeisitzer, die am Protokoll der Wahlkommission mit ihrer Unterschrift den ordnungsgemäßen Verlauf bestätigt haben, nachträglich jedoch eidesstattliche Erklärungen über gravierende Verfehlungen abgegeben haben, sind ausnahmslos strafrechtlich zu verfolgen um den wahren Sachverhalt aufzuklären, und nachfolgend entweder wegen Meineids oder wegen wissentlich falscher Tatsachenbezeugung zu verurteilen.

3) Verpflichtende Schulung, jedoch nicht der Wahlbeisitzer (ausreichend gute und klare Leitfäden sind bereits vorhanden), sondern primär der Leiter/innen der WahlBEHÖRDEN, denn die Fehler wurden offenbar nicht von Beisitzern begangen, sondern in erster Linie von den behördlich verantwortlichen Leitern der Wahlbehörden bzw. Bezirkshauptleuten.

4) Bereitstellung einer moderaten, angemessenen Aufwandsentschädigung aus dem Budget des BMI als Abgeltung für den Zeitaufwand für Wahlbeisitzer/Wahlzeugen, sofern sie mehr als 2/3 der Öffnungszeit des jeweiligen Wahllokales sowie während des gesamten Auszählungsvorganges anwesend sind.


mittelfristig:

1) Gesetzliche Klarstellungen (z.B. mittels Erlass des BMI),
um den Aufwand beim Auszählen der Wahlkarten in großen Bezirkswahlbehörden in angemessener Zeit zu bewältigen:

a) Klarstellung, dass Hilfskräfte bei der Auswertung bzw. Auszählung der Stimmen explizit zulässig sind, solange ihre Tätigkeit von Mitgliedern der Wahlkommission überwacht wird.

b) Ebenso Klarstellung, dass die Wahlbehörden - auf Basis der ihnen bekannten Anzahl an ausgegebenen Wahlkarten - in eigener Verantwortung mit allen geeigneten Mitteln dafür zu sorgen haben, dass eine ausreichende Anzahl von (Hilfs-)Personal zur Verfügung steht, um die Auszählung auch in großen Bezirken in einem angemessenen Zeitraum (4 bis max. 8 Stunden) bewältigen zu können. Zusatzkosten durch allenfalls nötige Überstunden sind vom BMI außertourlich abzugelten.

2) Gesetzliche Änderungen

a) Wahlschluss für aus der Briefwahl einlangende Wahlkarten von Sonntag 17 Uhr auf Samstag 17 Uhr vorverlegen.

b) Auszählung der Wahlkarten am Sonntag ab 12 Uhr. Vorbereitende administrative Vorarbeiten (Vorprüfungen, Vorsortierungen, Schlitzen etc.), um den Ablauf der eigentlichen Auszählung zu erleichtern bzw. zu beschleunigen, sind bereits vorher (z.B. ab 9 Uhr) zulässig.

Durch diese beiden gesetzlichen Maßnahmen wäre sichergestellt, dass nach menschlichem Ermessen alle Wahlkarten bereits am Wahltag zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie die übrigen Stimmen aus den Wahllokalen ausgezählt sind (zwischen 18 und 20 Uhr).

c) Punktuelle Einschränkungen der Briefwahl sowie Verschärfungen einzelner Bestimmungen zur Briefwahl:

Da der Gesetzgeber die Briefwahl als "Ersatzmöglichkeit" beschlossen hat (ähnlich dem Zivildienst als Wehrersatzdienst), ist es zulässig, dass bei Beantragung von Wahlkarten auch triftige Gründe (z.B. Auslandsaufenthalt, Krankheit) vorgebracht werden müssen. Reine Bequemlichkeit (z.B. Bergtour in einem anderen Bundesland) sollte für eine Briefwahl zu wenig sein, sondern allenfalls die Wahl per Wahlkarte in einem anderen Wahllokal (wie vor Einführung der Briefwahl) ermöglichen.
Es könnte z.B. festgelegt werden, dass postalisch aufgegebene Briefwahlstimmen nur dann gültig sind, wenn sie nachweislich im Ausland aufgegeben wurden (d.h. Ausscheiden der Wahlkarten bei inländischem Poststempel). Im Inland sollte mit Wahlkarte natürlich entweder in jedem Wahllokal, oder zumindest in einem Wahlkarten-Wahllokal pro Bezirk gewählt werden können.

Bei der Beantragung einer Wahlkarte muss die Identität nicht nur "glaubhaft gemacht" werden, sondern zweifelsfrei erwiesen sein. Daher muss z.B. die telefonische Beantragung von Wahlkarten - de jure und de facto - völlig ausgeschlossen sein. Die Ausfolgung der Wahlkarte darf entweder nur eigenhändig (bei persönlicher Abholung) oder per RSa-Brief erfolgen (keine RSb-Zustellungen!).

d) Um einer allfälligen zukünftigen Unterlaufung bzw. Aushöhlung der wichtigsten Wahlgrundsätze in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten vorzubeugen, wäre darüber hinaus eine Verfassungsbestimmung angezeigt, wonach demokratiepolitisch höchst bedenkliche Wahlmethoden wie z.B. e-voting aufgrund der Unvereinbarkeit mit zentralen Wahlgrundsätzen (geheime und persönliche Wahl) sowie mangelnder Transparenz und Nachvollziehbarkeit explizit als verfassungswidrig ausgeschlossen werden.

e) Die Strafandrohungen für Wahlmanipulationen sind zu überprüfen und gegebenenfalls anzuheben.


Zum Download:
Gegenüberstellung der Briefwahlergebnisse in den beanstandeten 14 Bezirken sowie Berechnung, welchen Stimmenanteil Hofer in diesen 14 Bezirken theoretisch erreichen hätte müssen, um das Wahlergebnis bundesweit knapp zu seinen Gunsten umzudrehen [PDF]


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Kommentar zur Anfechtung (veröffentlicht am 30.06.2016)


Kommentar vom: 01.07.2016 | © 2016 by MH Prognostics [universalist@gmx.at | 1230 Wien]